Angostura. Vor drei Jahrzehnten hätte dieses Wort wohl gereicht als Antwort auf die Frage: «Was ist eigentlich ein Cocktail-Bitter.» Mit ihrem übergrossen Papierkleid gehört diese mysteriöse Zutat in noch fast jeder Bar zum Inventar – zumindest in jenen, die Cocktails anbieten. Er zaubert aus einem Zuckerwürfel, einem Jigger Whiskey und (Schmelz-)wasser die Ur-Form der Mixtur, die wir heute auch für Mixed Drinks wie den Pornstar Martini und den Hurricane (oder wie sie alle heissen) verwenden.
Der Begriff Cocktail muss im Jahr 2022 auch herhalten, wenn wieder mal verschiedenste Pestizide in der Trinkwasseraufbereitungs- Anlage gefunden werden oder wenn Medien über Medikamente oder illegale Drogen berichten. Doch im Kontext Bar ist der Old Fashioned, der nächste Verwandte des Ur- Cocktails, eigentlich ausschliesslich positiv konnotiert.
Ein Begriff, der eine Mixtur beschreibt, ist logischerweise jünger als die einzelnen Zutaten. Die Formel und die Bezeichnung Cocktail mag im Jahre 1806 erstmals schriftlich festgehalten worden sein, doch die schriftlichen Quellen für Bitters reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Es wäre falsch anzunehmen, dass in den beiden Jahrhunderten dazwischen niemand je auf die Idee gekommen wäre, diese Zutat mit einer Spirituose und etwas Zucker zu konsumieren.
Doch bevor der Bitter Zutat eines Genussmittels werden sollte, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Arznei. Alkohol ist bekanntlich ein ideales Lösungs- und Konservierungsmittel und fand seine Verwendung über Jahrhunderte als Mazerat von allerlei Heilkräutern und Gewürzen. Daher erstaunt es nicht, dass die Formel von Angostura von einem (deutschen) Chirurgen kreiert wurde und jene von Peychaud’s Bitter, dem zweitberühmtesten Cocktail-Bitter, von einem Apotheker in New Orleans.
Bitters. Ein echter Aromen-Cocktail.
Glücklicherweise haben sich die Rezepturen in den letzten Jahrhunderten leicht gewandelt. Der Geschmack, nicht die Wirkung, steht heute im Zentrum und so finden sich heute weder Cannabis, Kokablätter noch Opium auf dem Beipackzettel. Ganz grundsätzlich findet man auf alkoholhaltigen Produkten, die für den Genuss bestimmt sind, keine Informationen über medizinische Vorteile mehr.
Um einen Cocktail-Bitter zu degustieren, verdünnt man am besten zwei bis drei Dashes mit etwas kaltem Wasser. Je nach Bitter kann man Aromen wie Zimt, Chinarinde, Enzian, Nelken, Wermut etc. erkennen. Die sogenannten Aromatic Bitters (darunter Angostura und Peychaud’s) beinhalten oft eine Vielzahl an Gewürzen, verfügen über eine intensive Bittere und sind meist identisch mit dem Namen der Marke.
Die zweite Gattung der Cocktail-Bitters sind etwas weniger bitter (heissen aber trotzdem so). Sie sind benannt nach der dominierenden Zutat und heissen etwa Orange-, Sellerie-, Kaffee- oder Kakaobitter.
Natürlich könnte man denken, dass die Angostura-Rinde Namensgeber des Angostura-Bitters ist. Dem ist jedoch nicht so, wie man auf dem Kleingedruckten einer jeder Flasche lesen kann. Der Baum hat der Stadt Angostura den Namen gegeben, wo Dr. Johann Siegert im Jahr 1820 die Rezeptur kreiert hatte. Die Stadt heisst heute Ciudad Bolívar, benannt nach dem Freiheitskämpfer, der in der gleichen Ära die Länder Venezuela, Kolumbien, Panama, Ecuador, Peru und Bolivien in die Unabhängigkeit führte.
Angostura-Rinde findet man folglich nicht im Original, dafür in verschiedenen Rezepten für Cocktail-Bitters des 19. Jahrhunderts. Und des 21. Jahrhunderts! Denn wie bei allen Kategorien hinter der Theke ist auch die Vielfalt der Cocktail-Bitters in den letzten Jahren explodiert.
Die Qualität eines Old Fashioneds hängt längst nicht mehr nur von der Technik des Barkeepers und der Wahl des Whiskeys, sondern eben auch von jener des Bitters ab.
Jigger statt Dash-Bottle
Ein Cocktail mit 4,5 cl Angostura Bitters. Kann das funktionieren? Warum nicht, dachte sich Giuseppe Gonzales von der Clover Club Bar in New York im Jahr 2009. Schliesslich war er nicht der erste, der mit einer unkonventionell grossen Menge Angostura gemixt hatte.
Inspirieren liess er sich nämlich vom italienischen Barkeeper Valentino Bolognese, der bei der Angostura European Cocktail Competition im Jahr 2008 für seinen Trinidad Especial 1 cl Pisco, 3 cl Orgeat und 2 cl Limettensaft mit 3 cl Angostura Bitter kombinierte.
Beim Trinidad Sour besteht die Basis aus 4,5 cl Angostura Bitters und 1,5 cl Rye, doch es schadet auch nicht, wenn man den Angostura auf ein Fundament aus Rye stellt. Die Mixtur funktioniert erstaunlich gut, denn dank den tiefen Temperaturen nimmt man die Bitternoten nur sehr schwach wahr, dominant ist hingegen das Aroma von Nelken.
Trinidad Sour
4 cl | Rye |
2 cl | Angostura Bitters |
3 cl | Zitronensaft |
2 cl | Orgeat |
Zubereitung: Auf Eis shaken und in Coupette doppelt abseihen.
Deko: Orangenzeste