Bloody Mary zu scharf? Selbstverständlich kann sich Gast in dieser Notlage ein Glas Milch bestellen. In jedem anderen Fall darf er sich hingegen nicht ob den nach oben gezogenen Augenbrauen von Barkeepern und anderen Gästen wundern, wenn er an einem Freitagabend mit einem «UHT straight up» die Arbeitswoche begiessen will. Anders sieht es bei Milk Punch aus. Die elegante Säure, das unvergleichlich weiche Mundgefühl und die erstklassige Ästhetik – gibt es etwas, das gegen Milk Punch spricht? Sicher nicht die Coolness. Wenn, dann nur der Zeitaufwand.
Die Technik
Für Milk Punches mischt man einen Mixed Drink (mit Säure) mit Milch. Die Mischung filtriert man, das Resultat ist der Milk Punch. Das ist die simple Erklärung. Für die lange Erklärung ist einerseits ein Exkurs in die Herstellung von Käse (oder Tofu) notwendig, andererseits lohnt sich ein kurzer Blick zurück in die Geschichte. Um Käse herzustellen, wird Milch mit Milchsäurebakterien oder Enzymen gemischt, mit dem Resultat, dass sich die Milch zu scheiden beginnt (was auch bei Fondue passieren kann). Anstelle der Feststoffe sammelt man beim Milk Punch jedoch die Flüssigkeit – beim Käsen spricht man von der sogenannten Molke. Diese ist übrigens Bestandteil von Rivella.
Das inoffizielle Schweizer Nationalgetränk kann somit als der beliebteste alkoholfreie Milk Punch bezeichnet werden. Die Herstellung von Käse ist seit Jahrtausenden bekannt. Die ersten Überlieferungen von Milk Punch gehen laut David Wondrich – dessen Erwähnung des Milk Punch in seinem 2010 erschienenen Buch «Punch» ins 21. Jahrhundert katapultiert hat – ins 18. Jahrhundert zurück. Die am häufigsten zitierte Rezeptur der Hausfrau (und offensichtlich Hobby-Mixologin) Mary Rockett aus dem Jahr 1711 kombiniert 3,84 Liter Brandy, die Zesten und den Saft von 8 Zitronen (was zu wenig ist), 4,8 Liter Wasser (Empfehlung: 3,8 Liter), 900 Gramm Zucker, 2 geriebene Muskatnüsse und 1,9 Liter Milch.
«Punch to the Milk» und nicht «Milk to the Punch»
Wichtig beim Prozess ist, dass alle Zutaten gemischt und anschliessend in einen Behälter mit der Milch geleert werden – und nicht etwa die Milch in den Behälter mit den Zutaten. Wer den Grund erfahren will, dem sei das YouTube-Tutorial von «What’s Eating Dan?» vom Kanal «America’s Test Kitchen» empfohlen. Milk Punch ist aufwendig in der Vorbereitung und kann nicht à-la-Minute zubereitet werden. Daher lohnt es sich, diese in grösseren Mengen herzustellen. Beim Filtrieren empfiehlt sich ein Passiertuch, ein Kaffeefilter oder andere Optionen, die man etwa im Brau- und Rauchshop oder in anderen Fachmärkten finden kann.
Wichtig ist, dass man einige Zentiliter des Milk Punch durch den Filter lässt, bevor man diesen zu sammeln beginnt, denn die ersten Tropfen sind immer trüb. Wenn schon der ganze Aufwand, dann richtig! Nach der Abfüllung setzen sich diverse Trübstoffe nach einigen Tagen am Boden der Flasche ab. Wer Milk Punch länger aufbewahren will, dekantiert diesen am besten. Zudem empfiehlt sich dafür eine süssere, alkoholhaltigere Rezeptur. So zubereitet kann Milk Punch – laut Wondrich – fast unendlich lange gelagert werden.
Sinn- und Unsinn des ganzen Aufwands
Bevor man einen Cocktail der Milch-Klarifikation unterzieht, sollte man sich diese drei Dinge überlegen.
Erstens: Was bringt die Filtration?
Schmeckt die Mixtur auch so, sieht aber unappetitlich aus, dann ist ein getöpfertes Trinkgefäss und ein Strohhalm vielleicht die einfachere Variante. Geht es nur um das Mundgefühl? Vielleicht ist ein Gummi Arabicum-Sirup oder ein Fat-Wash die Lösung. Einmal bin ich einem Milk Punch begegnet, der noch geshaket und mit Schaumwein aufgefüllt wurde. Weshalb, entzieht sich noch immer meiner Kenntnis, aber ich bin sicher, dass man die Textur auch einfacher hingekriegt hätte.
Zweitens: Passen Milk Punches zu meinem Konzept?
Milk Punches eignen sich für alle Cocktailbars mit hohen Ansprüchen, besonders jedoch für kleinere mit weniger Manpower. Der Vorteil ist klar, dass während den Öffnungszeiten innert Sekunden ein State-of-the-Art-Cocktail ausgeschenkt werden kann, auch wenn gerade eine grosse Gruppe die Bar betreten hat. Dies trifft grundsätzlich auf alle Pre-batched Drinks zu. Bei Milk Punch ist jedoch zu beachten, dass der Aufwand beim Vorproduzieren höher ist – und dass er nicht à-la-Minute nachgemixt werden kann. Milk Punches sind zudem noch nicht in allen Bevölkerungsschichten angekommen und bedürfen potenziell etwas mehr Erklärungsbedarf.
Drittens: Für wen (und mit was) mache ich Milk Punch?
Es gibt Bars, die alkoholfreien Milk Punch – ja, das gibt es – auf der Karte haben. Auch mit einigen pflanzlichen Milcharten lässt sich ein Drink klarifizieren. Persönlich habe ich bereits Kokos- und Cashew-Milch ausprobiert. Die Filtration funktionierte, dauerte aber sehr lange, weil der Filter verklebte. Dies passierte mir auch bei Reis- oder Hafermilch – wobei hier die Gerinnung nicht so funktionierte, wie ich das wollte. Fantastisch gut eignet sich Soja-Milch. (Damit konnte ich sogar die nicht geglückten Proben retten). Die Filtration war bei Soja-Milch gar noch effizienter als bei der Vollmilch, auch wenn letztere mit einem weicheren Mundgefühl überzeugen konnte. Als Experiment versuchte ich zudem Bio- Vollrahm (fantastischer Geschmack, jedoch keine brauchbare Filtration) und Double Crème aus Freiburg. Letztere lässt sich zwar etwas langsamer filtrieren, betreffend Mundgefühl und Geschmack ist sie jedoch unschlagbar.