Interview

Whiskylegende Claudio Bernasconi

Claudio Bernasconi ist der bekannteste Whiskyexperte der Schweiz. Neben seinem Whiskygeschäft World of Whisky besitzt er die grösste Whiskybar der Welt, das Devil’s Place im Waldhaus in St. Moritz und eine einzigartige Privatsammlung. Sein Netzwerk in die Whiskywelt ist einmalig.
Whisky-Legende Claudio Bernasconi

Ruedi Zotter: Wie sind Sie in die Whisky-Welt hereingekommen?
Claudio Bernasconi: Ich war mein Leben lang Hotelier und schon als 20-Jähriger wurde ich Geschäftsführer in einem Betrieb mit 40 Angestellten. Eigentlich hätte ich nur ca. zwei Wochen einspringen sollen, bis das Hotel den Posten neu besetzen konnte. Nach kurzer Zeit sagten sie mir dann, dass sie niemanden mehr suchen wollten. Nach einigen Jahren dort hatte ich das Bedürfnis, etwas Eigenes aufzubauen. Doch keine Bank wollte mir die Gelder für die Übernahme eines Restaurants im Zürcher Oberland sprechen.

Deshalb habe ich meinen Rucksack gepackt und habe mir die Welt angeschaut. Zuerst durch Süd-, Mittel- und Nordamerika, dann verschiedene Länder in Afrika, dem Nahen und schliesslich dem Fernen Osten. In Indien musste ich besonders auf der Hut sein, keine Lebensmittelvergiftung zu kriegen. Ich habe mir dort dann eine Flasche Whisky gekauft und mir ein Zugticket gelöst. Die drei meistverkauften Whisky-Marken der Welt sind aus Indien, erst dann kommen die Bekannten wie Johnny Walker und Jack Daniels. Ich habe den Whisky zuerst benutzt, um die Zähne zu putzen und nach einer Woche dachte ich, es ist eigentlich ein verdammt gutes Getränk.

Zurück in der Schweiz habe ich dann ein paar Jahre später das Hotel Waldhaus in St. Moritz in Pacht übernommen. Dort hatten wir viele Swissair-Leute für Weiterbildungs-Seminare. Ihnen habe ich dann mal geschrieben, dass sie, wenn sie mir eine Freude machen wollen, mir doch von ihren Reisen jeweils eine Flasche Whisky mitbringen sollen. Nach einem Jahr hatte ich etwa hundert beieinander – so hat das etwa angefangen.

Wie ist es zur grössten Whiskybar der Welt gekommen?
1995 eröffneten wir im Waldhaus die grösste Whiskybar der Schweiz, dann jene von Europa. Als der grösste Whiskysammler der Welt starb, haben wir rund 1 000 Flaschen von dessen Bestand gekauft und 1996 den Antrag auf Aufnahme ins Guiness- Buch der Rekorde gestellt. Seit 1998 haben wir nun 2 500 Whiskys und sind weltweit unangefochten an der Spitze.

Was bedeutet Ihnen Whisky heute?
Ich finde es nach wie vor das schönste Genussmittel. Es ist die reinste Spirituose und es stecken eben auch viele Geschichten dahinter. Und Whisky-Menschen sind völlig anders, sie sind Genussmenschen. Ich hatte in 25 Jahren nie eine Schlägerei in meiner Whisky-Bar.

Whisky beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Schottland, Irland und die USA. Die Whisky-Welt scheint in den letzten Jahren grösser geworden zu sein. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Da gäbe es mehrere mögliche Antworten. Grundsätzlich ist Irland der Ursprung des Whiskys, das Herz der Industrie ist jedoch Schottland. Seit 1999 darf auch in der Schweiz Whisky hergestellt werden und heute gibt es über 50 Produzenten. Auch Deutschland hat über 100 Hersteller.

Fast wöchentlich erreichen mich Fragen im Stil von: «Was ist denn mit Japanischem Whisky. Kann man den trinken?» Meine Standard- Antwort: Vor hundert Jahren haben die Japaner ein Auto gekauft, haben es auseinandergenommen, wieder zusammengebaut und heute ist Toyota die Nr. 1 weltweit. Ich habe die Generalvertretung von Ben Nevis, die ja zu Suntory gehört. Seit zwei Jahren erhalte ich keine Flasche mehr, weil sie alles nach Japan exportieren, der dort dann als Japanese Blended Whisky verkauft wird. Heute bezahlt man für Japanische Whiskys unglaubliche Preise. Aber für mich kommen die schönsten Whiskys immer noch aus Schottland.

Was sagen Sie zu Schweizer Whiskys?
Das Problem ist, dass viele Schweizer Produzenten ihre relativ jungen Whiskys nach drei bis fünf Jahren auf den Markt bringen und das Preislevel relativ hoch ist. Vor Kurzem habe ich meinen 15-Jährigen, im Jahr 2003 destilliert, nach Schottland genommen. Nicht einer, nicht mal Charles MacLean hätte gedacht, dass es sich um einen Schweizer Whisky handelt. Grundsätzlich bin ich starker Befürworter der freien Marktwirtschaft und unterstütze alles, was mit Whisky zu tun hat.

Wie hat sich die Whisky-Bubble in der Schweiz entwickelt?
Vor ca. 30 Jahren waren die Leute zwischen 25 und 40 Jahre alt. In den 90er-Jahren wurde die Community etwas femininer mit einem Anteil von ca. 20 bis 30 Prozent. Bei den letzten Messen, die ich besucht habe, hatte ich das Gefühl, dass sich der Frauenanteil wieder etwas reduziert hat. Die Leute sind aber immer noch eher jung, auch wenn es natürlich stets auch ältere Semester gibt.

«Ich habe vor 40 Jahren bei einer Reise durch Indien den Whisky zuerst benutzt, um die Zähne zu putzen und nach einer Woche festgestellt, dass es ein verdammt gutes Getränk ist.»

Claudio Bernasconi

Angebot und Nachfrage von Scotch Whisky. Ist das ein Problem?
Ja, ein riesiges. Ich bin schon seit 1983 dabei, einer Zeit, in der 14 Distillerien wegen Überkapazitäten oder wegen MarketingÜberlegungen der Grosskonzerne schliessen mussten. In der Zeit danach ging es Jahr für Jahr einige Prozente bergauf. Vielleicht eine kurze Randbemerkung. Spirituosen unterliegen auch einem gewissen Trend. In den 60er-Jahren war es Cognac, in den 70ern Grappa, die 90er waren von Rum geprägt, später folgten Vodka und heute haben wir den Gin.

Auf der Nachfrageseite ist in den 90er-Jahren der russische Markt und seit der Jahrtausendwende auch der chinesische Markt dazugekommen. Die Nachfrage und damit auch die Preise sind seither beinahe explodiert. Wenn man die Zahlen anschaut, dann haben die Schotten zum Beispiel im letzten Jahr zwar eine geringere Menge abgesetzt, wegen steigender Preise ist der Umsatz jedoch trotzdem gestiegen. Ein Beispiel: Glenlivet hatte vor dreissig Jahren noch einen Ausstoss von zwei Millionen Litern pro Jahr. Diese haben sie dann kontinuierlich hochgefahren. Seit letztem Jahr beträgt die Kapazität von Glenlivet pro Jahr 30 Millionen Liter, wovon im letzten Jahr der Ausstoss 21 Millionen Liter betrug.

Ich kenne keine einzige Distillerie in Schottland, die ihre Kapazität in den letzten zwanzig Jahren nicht erhöht hätte. Längerfristig erwarte ich sinkende Preise mit einer Unsicherheit: Brexit. Wenn die Briten ein Freihandelsabkommen mit Indien aushandeln können, wird das den Schotten einen erneuten, massiven Schub geben.

Wie sehen Sie Whisky als Investition bzw. als Wertanlage?
Vor Jahren war ich mal für einen Exklusivanlass eingeladen bei Glenlivet. Nach dem Galadinner bin ich noch mit einem amerikanischen Journalisten der New York Times zusammengesessen, der auch für das Time Magazine schrieb.

Er hat mir von seinen monatelangen Recherchen erzählt, in denen er die Renditen verschiedener Kapitalanlagen der letzten zehn Jahre analysiert hat. Briefmarken 110 Prozent, Kunst 160 Prozent, Diamanten 170 Prozent, Autos 180 Prozent etc. Single Malt hingegen hatte eine Rendite von 580 Prozent. Laut seinen Recherchen hätte es keine bessere Kapitalanlage gegeben als Whisky.

Ein Beispiel. Die erste Port Ellen-Edition kriegte ich noch für CHF 280, heute kostet diese zwischen CHF 7 000 und 8 000. Die neue 17. Edition kostet heute aber schon bei der Einführung CHF 3 000. Die Konzerne und die Distillerien haben das Geschäftsmodell für sich erkannt. Aber als Kapitalanlage kann es noch immer ein interessantes Geschäft sein.

«Wenn ich den Vergleich mit der Weinwelt mache, dann ist Lowland Beaujolais, Highland ist das Burgund und Islay ist Bordeaux».

Claudio Bernasconi

Welches war Ihr schönstes Whisky-Erlebnis?
Als ich bei The Macallan war und den dazumal ältesten Whisky der Welt persönlich erhalten habe. Einen 72-jährigen Macallan.

Und die grösste Enttäuschung?
Eigentlich keine (lacht), ich musste noch nie eine Flasche unter dem Einstandspreis verkaufen. Ein Frust war vielleicht dies, das ist noch eine lustige Geschichte: Ich hatte einen Whisky aus dem Jahr 1878, wo das Glas CHF 10 000 gekostet hat. Ich habe immer darauf gewartet, bis irgendein Gast kommt, der ein Glas nimmt.

Es war dann ein Chinese, der ein Glas genommen hat und der war auch zufrieden und alles wunderbar. Im Nachhinein stellte sich dann heraus, dass der Whisky gefälscht war. Für mich war es natürlich ein grosser Frust, denn ich hatte auch einige tausend Franken auf den Tisch gelegt für diese Flasche, wo dann «nur» ein 30-jähriger Glenlivet drin war.

Heute gibt es ein System, welches das Jahr der Gerstenernte bzw. der Destillation bestimmen kann, sofern es sich nach dem Abwurf der Atombomben im zweiten Weltkrieg handelt. Als die Fälschung ans Licht kam, ist mein Sohn, der den Whisky verkauft hatte, persönlich nach Shanghai gereist, um dem Gast die CHF 10 000 zurückzubezahlen.

Hauptpreis Swiss Cocktail Open 2022

Exklusiver Privatanlass bei und mit Whisky-Legende Claudio Bernasconi

Der Gründer der grössten Whisky-Bar der Welt, dem Devil’s Place im Waldhaus St. Moritz, und Besitzer einer der schönsten, privaten Whiskysammlung der Welt, öffnet dem Sieger des SWISS COCKTAIL OPEN 2022 und fünf Begleitpersonen die Türen für einen exklusiven Blick in seine Privatsammlung mit zahlreichen aussergewöhnlichen Whiskys.

  • Workshop und begleitetes Tasting von exklusiven Whiskys
  • Exklusives Mittagessen von Claudio Bernasconi zubereitet inkl. Whisky-Begleitung
  • Austausch und Vermittlung von viel Fachwissen

Was würden Sie einer Whisky-Einsteigerin servieren?
Einer Frau würde ich wohl einen 12-jährigen Redbreast servieren. Durch die dreifache Destillation sind die Iren eher runder und weicher als die Highland-Whiskys der Schotten. Von dem her kann man auch gut mit einem Lowland-Whisky starten, zum Beispiel Bladnoch oder Auchentoshan, der einzigen Distillerie Schottlands, die auch drei Mal destilliert. Wenn ich den Vergleich mit der Weinwelt machen darf, dann ist Lowland Beaujolais, Highland ist das Burgund und Islay ist Bordeaux.

Und was einem Whisky-Einsteiger?
Einem Mann eigentlich dasselbe, irgendeinen Lowlander wie Auchentoshan, Lindores Abbey oder Glenkinchie.

Welches ist denn Ihr Lieblingswhisky?
Ich habe nicht den einen Lieblingswhisky, aber grundsätzlich schätze ich rauchige Whiskys aus dem Sherry-Fass.

Und welches ist Ihre teuerste Flasche in Ihrer Sammlung?
Black Bowmore, da kostet die Flasche heute ca. CHF 30 000.

«Vor zwanzig Jahren waren es vor allem Whisky-Freaks, die den Preis bestimmten, heute sind es auch viele Spekulanten.»

Claudio Bernasconi

Was für Ratschläge haben Sie jemanden, der eine Whisky-Sammlung anlegen möchte?
Dies ist eine komplexe Frage mit vielen unterschiedlichen Ansätzen. Ich würde zum Beispiel empfehlen, sich auf geschlossene Distillerien, die noch bezahlbare Whiskys haben, zu konzentrieren. Dann gibt es natürlich auch die Möglichkeit, sich auf bestimmte Marken zu konzentrieren oder auf verschiedene Provenienzen.

Wer bestimmt eigentlich den Preis beim Whisky?
Wenn wir einen neuen Whisky haben, schauen wir oft erstmal den Benchmark an. Da wird es oft schon kompliziert. Etwa in Deutschland beträgt die Spirituosensteuer etwas zwischen der Hälfte und einem Drittel im Vergleich zur Schweiz.

Bei höheren Beträgen gleicht sich der Unterschied wieder aus wegen der verschiedenen Mehrwertsteuersätze. Der Preis wird aber hauptsächlich durch die Nachfrage bestimmt. Vor zwanzig Jahren waren es vor allem Whisky-Freaks, die den Preis bestimmten, heute sind es auch viele Spekulanten.

Was kann man von Claudio Bernasconi in naher Zukunft erwarten?
Schon vor Jahren habe ich neben «World of Whisky» auch den Brand «World of Rum» schützen lassen. Nun gibt es in Frankreich ein Unternehmen, das Rum of the World heisst. Nun machen wir gemeinsam eine Rum-Abfüllung: «Rum of the World» meets «World of Rum».

Das erste Fass, das im Juni auf den Markt kommt, ist von einem Produzenten aus Australien, ohne Zuckerzugabe, ohne Caramelfarbe oder irgendeine andere Zugabe. Aber ich muss sagen, das Rum-Business ist zehnmal komplizierter als das Whisky-Business …

Dieser Artikel erschien in
Ausgabe 2-2022

BAR NEWS-Magazin als Einzelausgabe

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