Noch in der 9. Ausgabe des Grossen Lehrbuchs der Bar der Schweizer Barkeeper-Legende Harry Schrämli aus dem Jahr 1979 war sie nirgends zu finden. Doch nur wenige Jahre später setzte sie mit Limette und Muddler im Gepäck zum Sprung über den Teich an, breitete sich in der Schweiz aus und verteidigt seither wacker ihren Platz auf den Barkarten der abgelegensten Bahnhofbuffets und Dorffeste: Die brasilianische Nationalspirituose Cachaça.
Damals wie heute greifen Barkeeper überwiegend aus einem Grund zu diesem Zuckerrohrschnaps: Jemand hat mal wieder einen Caipirinha bestellt … Die Crème de la Crème der urbanen Cocktailbars mag den Caipirinha und dessen Deklinationen längst von der Karte verbannt haben – in vielen Beizen und Clubs, Pubs und Bistros wird jedoch noch ordentlich zum Muddler gegriffen. Dies beweisen auch die Exportzahlen. Zwar fasst das Bundesamt für Zoll und Grenzschutz – im Unterschied zu Brasilien – die Kategorien Cachaça und Rum zusammen, da brasilianischer Rum jedoch eine Nischenspirituose einer Nischenspirituose ist, ist der Vergleich der Importe nach Herkunftsland ausreichend aussagekräftig.
Mengenmässig waren im letzten Jahr 8,3 Prozent der Schweizer Importe von Zuckerrohrdestillaten aus Brasilien. Mengenmässig ist Deutschland mit 22,7 Prozent der grösste Importeur. Gemessen am Umsatz beträgt der Anteil Deutschlands jedoch nur zwölf Prozent. Daraus ist zu schliessen, dass bei unserem nördlichen Nachbarn primär günstige Ware ausgeschenkt wird. Und es gibt keine Anhaltspunkte, wieso dies in der Schweiz anders sein sollte. Noch!
Das sind die neuen Cachaça-Kategorien
Die Cachaças, die ausserhalb von Brasilien erhältlich sind, sind nur ein winziger Bruchteil dessen, was diese Spirituose zu bieten hat. Nicht nur wird der Grossteil der Produktion im Land mit der siebtgrössten Population der Welt selbst getrunken, von vielen Brennereien wissen selbst die lokalen Steuerbehörden nichts. Die meisten hier bekannten Produkte werden als «Cachaça» verkauft. Sie werden im kontinuierlichen Column Still-Verfahren kostengünstig und auf einen höheren Alkoholgehalt destilliert.
Dass in den gleichen Anlagen nicht selten auch Bioethanol für Treibstoff hergestellt wird, gilt als offenes Geheimnis. Als hochwertiger gilt «Cachaça de Alambique», mittlerweile eine eigene Cachaça- Kategorie, der in Brennblasen aus Kupfer destilliert wird. Die grasig-floralen und fruchtigen Noten des Zuckerrohrs kommen dadurch wesentlich stärker zum Ausdruck. Bis zu diesem Zeitpunkt verbindet Cachaça vieles mit Rhum agricole aus den französischen Antillen.
Doch spätestens, wenn die Destillate aus Zuckerrohrsaft in einem Fass ausgebaut werden, gehen die Stile markant auseinander. Hier nimmt Brasilien nicht nur bei den Zuckerrohrdestillaten, sondern in der Welt der Spirituosen grundsätzlich, eine Sonderrolle ein. Wer bei Spirituosen von «Holz» spricht, meint in 99 Prozent der Fälle amerikanische oder europäische Eiche. Zwar gibt es mit Mizunara, Kastanie, Robinie oder Kirsche auch andere Holzarten, die für Fassbau und Fassausbau verwendet werden. Doch im Land, das notabene nach einer Holzart benannt ist, werden rund zwanzig Baumsorten zur Lagerung von Cachaça verwendet.
Alter und Farbe, auch bei Single Malts trügerische Indikatoren, sind bei Cachaça noch weniger aussagekräftig. Die Hölzer geben unterschiedliche Farben und Aromen ab. Umburana oder Amburana, eine Kirschbaumart, ist fruchtig, süsslich und gibt eine hellgoldene Farbe ab. Ipê ist ein sehr hartes Holz, das in Cachaça Aromen von tropischen Früchten wie getrockneter Mango integrieren kann. Weitere Holzarten sind beispielsweise Grápia oder Ariribá. Neben den Holzarten gibt es natürlich auch mit anderen Spirituosen vorbelegte Eichenfässer.
So finden sich auch Cachaças, die in Ex-Islay oder -Cognac-Fässern ausgebaut wurden. Die Kategorisierung nach Fasslagerung ist nicht besonders einleuchtend. Bei «Cachaça envelhecida» muss mindestens die Hälfte des Volumens für ein Jahr in einen Holzbehälter von bis zu 700 Litern. Für andere in Holz ausgebaute Cachaças wird der Begriff «Armazenada» verwendet.
Cachaça darf mit bis zu sechs Gramm pro Liter gesüsst werden. Für die Kategorie Cachaça adoçada (gesüsst) darf zwischen sechs und 30 Gramm Zucker hinzugefügt werden. Hochwertige Cachaças bringen die Aromen des Zuckerrohrs perfekt zum Ausdruck, harmonieren, wenn fassgelagert, mit den aussergewöhnlichen Holznoten und sind auch pur zu trinken ein Genuss.