Kein Drink kommt der ursprünglichen Komposition aus Spirituose, Zucker, Bitters und Wasser näher als der Old Fashioned. Als der «Cock-Tail» im Jahr 1806 erstmals in einer Zeitung der Stadt Hudson am gleichnamigen Fluss als «stimulierendes Getränk» schriftlich definiert wurde, unterliess es der Autor des publizierten Beitrags, eine Spirituose zu nennen.
Doch auch wenn der Ur-Cocktail durchaus mit einem Zuckerrohr- Brand, einem Brandy – oder sonst einem Destillat – gemixt wurde; wer heute in eine Bar geht und in der Karte den Drink sucht, der dem «Ur-Cocktail» am ehesten entspricht, erhält ein Getränk auf Basis von Whisk(e)y. Die letzten Jahrzehnte haben es gezeigt: Barkeeper haben gelernt vermehrt lokale Spirituosen einzusetzen.
Doch das eigentliche Fundament der Cocktail-Kultur basiert auf Spirituosen, die in den USA vor 1920 verbreitet waren. Bereits die Briten tranken Spirituosen, die verdünnt, gesüsst und mit Bitters versetzt wurden, aber es waren die Amerikaner, die den Cocktail zu ihrem Kulturgut machten. Und doch lässt sich die Vergangenheit unter der gleichen Krone nicht leugnen, was man auch an den Zutaten ablesen kann, die zu Beginn des 19. Jahrhundert für gemixte Getränke ennet dem Teich verwendet wurden.
Rum, hergestellt aus Zuckerrohrmelasse aus den britischen Kolonien der Karibik, Brandy, importiert aus Frankreich, sowie Sherry, Portwein und Madeira – doch insbesondere eben auch englischer Gin (oder niederländischer Genever) und Whisky aus Irland, Schottland oder aus eigener, amerikanischer Produktion. Dank der Unabhängigkeit der USA konnte der junge Bundesstaat die eigenen Erzeugnisse nun steuerlich bevorteilen, gleichzeitig sollte eine Steuer auf Whiskey die Schulden aus dem Unabhängigkeitskrieg tilgen. Die darauffolgende Whiskey-Rebellion konnte militärisch zwar besiegen, wenige Jahre später hob der neu gewählte Thomas Jefferson die Whisky-Steuer wieder auf.
Wie der Ur-Cocktail wurden auch die anderen Mixed- Drink-Kategorien ihrer Zeit meist mit «spirits of any kind» zubereitet. Ein gutes Beispiel ist etwa der Julep, der bereits im 18. Jahrhundert verbreitet war. Doch während zu dieser Zeit meist Rum die Kombination aus Wasser – Eis verbreitete sich erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, auch dank dem Julep – Zucker und Minze hochprozentig machte, wurde der Julep im 19. Jahrhunderts erst zu einem Brandy-Drink mit einem Rum-Float und später dann zu einem Whiskey-Drink.
Nach der ersten schriftlichen Definition des Cocktails war das Aufkommen von Eis der wohl wichtigste Fortschritt. Doch auch Zitrussäfte, Früchte, Kräuter, Liköre und Filler, die aus einem Cocktail einen «Fancy Cocktail» oder einen «Improved Cocktail» machten oder gleich eine neue Mixed Drink-Kategorie begründeten, trugen ihren Teil bei. Als Jerry Thomas im Jahr 1862 sein Barbuch veröffentlichte, stand der Cocktail mit Fix, Julep, Sangaree, Sling, Smash oder dem Sour auf einer Ebene.
Während der Julep im Zuge der letzten Jahrzehnte wiederentdeckt wurde, verschwanden andere Kategorien gleich ganz aus dem Kanon. Nicht jedoch der Sour. Heute werden in Bars mehr Sours serviert als Cocktails, die «the old fashioned way» zubereitet werden. Vor allem der Whiskey Sour war lange Zeit der Gradmesser, ob eine Bar es verstand, gute Drinks zuzubereiten.
Introducing: Vermouth
Eine Revolution erlebte die Cocktail-Kultur, als diese zwischen 1860 und 1890 Vermouth für sich entdeckte. Die Welt wäre nicht die gleiche, hätten sich Whiskey, Sweet Vermouth und Bitters nicht zum Manhattan vereint. Gleich mehrere Faktoren sprachen dafür, dass die Formel (Spirituose + Vermouth + Bitters) um die Welt gehen sollten, wobei der Geschmack von Martini, Martinez oder eben Manhattan sicher zentral war. In dieser Zeit wütete in Europa die Reblaus, was alkoholhaltige Alternativen zu Wein und Brandy Vorteile brachten.
Gleichzeitig nahm in der Belle Epoque die Reisetätigkeit zu und Amerikanerinnen und Amerikaner wollten auch im Ausland nicht auf ihre Cocktails verzichten. Bis zum 1. Weltkrieg verbreitete sich die Cocktailkultur auf allen Kontinenten – mit Whiskey, Gin und Vermouth als blinde Passagiere. Wer Whisk(e)y-Cocktail sagt, meinte während Jahrzehnten Bourbon. Einzig für den Manhattan verlangte das Rezept meist nach Canadian Club, da dieser etwas Roggen in der Mash Bill enthält.
Mittlerweile produzieren die US-Distillerien jedoch wieder Rye in grossen Mengen und auch in der Schweiz haben sich einige Brennereien diesem Whisk(e)y-Stil zugewandt (mehr dazu im Beitrag auf der nächsten Seite). Damals wie heute sind Cocktails auf Basis von Scotch eher eine Seltenheit. Ausnahmen sind etwa alte Klassiker wie Rob Roy (Scotch-Manhattan), Bobby Burns (Scotch- Manhattan mit Bénédictine statt Bitters) oder Mamie Taylor (Scotch, Limettensaft, Ginger Beer). Noch seltener trifft man auf Irish Whiskey in Cocktails.
Vor der Prohibition soll das einflussreiche Waldorf Astoria in New York einige Irish Whiskey-Cocktails auf der Karte gelistet haben und Harry Johnson mixte seine Version des Blackthorn Cocktails mit gleichen Teilen Irish Whiskey, Dry Vermouth und je drei Spritzern Angostura und Absinthe. Weiter erschien in Hugo Ensslin «Recipes for Mixed Drinks» (1916) neben dem eben genannten Bobby Burns erstmals der Tipperary mit gleichen Teilen Irish Whiskey, Italian Vermouth und Chartreuse. Beispiele zeitgenössischer Cocktails mit Irish Whiskey oder Scotch sind «Penicillin», der Ingwer-Honig- Scotch-Drink vom australischen Barkeeper Sam Ross (Milk & Honey), sowie «Hotel d’Alsace» aus dem PDT Cocktail Book (2011).
Dieser wird mit Irish Whiskey, Cointreau, Bénédictine und einem Rosmarinzweig zubereitet. Bei Rum-Cocktails hat es sich längst eingebürgert, zwischen den verschiedensten Stilrichtungen hin und her zu switchen – oder wie bei Tiki-Drinks gar zu vermischen. Der Penicillin hat mit dem «Islay-Single Malt- Float» bewiesen, dass das gleiche Konzept bei Whisky durchaus auch funktioniert. Das Potenzial für Experimente ist jedenfalls noch nicht ausgeschöpft…