Rhum Agricole ähnelt seiner Mutterkategorie, dem Rum. Aber es gibt einige bemerkenswerte Unterschiede und das ist nicht nur die Schreibweise des Wortes. Rhum Agricole muss aus Zuckerrohrsaft hergestellt werden, im Gegensatz zu Rum (oder Ron), welcher bis auf einige Ausnahmen aus Melasse hergestellt wird.
Die Bezeichnung Rhum Agricole gibt weitere Hinweise. Rhum ist die französische Schreibweise von Rum, entsprechend kann echter Rhum Agricole fast ausschliesslich nur in französischen Gebieten hergestellt werden: Französisch-Guayana, Guadeloupe, Martinique, La Réunion und – eigenwillig – auf der portugiesischen Atlantikinsel Madeira.
Agricole steht für landwirtschaftlich; eine durchaus angemessene Beschreibung, steht dies doch auch für einen von grasigen, manchmal erdigen und oft auch von unreifen Früchten geprägten Geschmacksausdruck, der das Terroir der Region wiedergeben kann, wo er produziert wird. Je nach Region gibt es für den Rhum Agricole sehr unterschiedliche Vorschriften. So hat Martinique schon seit 1996 eine eigene Appellation d’Origine Controlée (AOC).
In den letzten Jahren haben andere Länder zum Schutz ihrer Herkunft und Herstellung gleichwertige geografische Indikatoren (G.I.) eingeführt, wie zum Beispiel die festgelegte Erntezeit, den Zuckerrohrsaftertrag und Mindestzeiten für Fermentation, Destillation und Reifung (Alterung), Alkoholgehalt und dergleichen.
Die AOC von Martinique
Seit der Zulassung 1996 hat die AOC Martinique in den Jahren 2005 und zuletzt 2014 zwei Revisionen durchlaufen. In der aktuellen Version der AOC wird festgelegt, wann das Zuckerrohr geerntet werden darf (Januar bis August) und welche maximalen Ernteerträge pro Hektar erlaubt sind (120 Tonnen Zuckerrohr/ha). Darüber hinaus wurden die zulässigen Produktionszonen von 23 im Jahr 1996 auf insgesamt 34 erweitert.
Weiter wurden die zugelassenen Zuckerrohrsorten auf die Arten Saccharum officinarum und Saccharum spontaneum beschränkt. Diese beiden Arten machten schon immer die Mehrheit des angebauten Zuckerrohrs aus, so dass diese Änderung nur eine Festschreibung des Status Quo darstellt.
Auch im Bereich der Herstellung des Rhum Agricole AOC Martinique (und damit auch der anderen französischen Überseegebiete, die diese Vorschrift für sich anwenden) gab es neue Vorschriften. So wurde die maximale Fermentationszeit auf 120 Stunden, gegenüber 72 Stunden zuvor, heraufgesetzt.
Dies dürfte auf lange Sicht eine zusätzliche Art von Aromen hervorbringen, die dem langfermentierten Rum aus Jamaika und British-Guayana ähneln wird. Quasi ein «High Ester Rhum Agricole». Es wird spannend, wenn wir die ersten dieser Abfüllungen (bewusst) auch in Europa degustieren können.
Varietät und Lagerung
Die Verwendung von unterschiedlichen Zuckerrohrsorten und die Reduzierung der neunen Regularien auf nur noch zwei (früher 12) wird, hoffentlich, noch einen weiteren Effekt bringen: unterschiedliche Terroirs sollten dann einen deutlich wahrnehmbareren Einfluss auf die Qualität des Rhum Agricole haben.
Auf Guadeloupe kann man dieses schon sehr schön bei der Marke Longuetau beobachten. Ihre Abfüllungen unterschiedlicher Terroirs sind ein wunderbares Beispiel, Unterschiede deutlich zu machen und geschmacklich zu zeigen.
Die Alkohol-Obergrenze der abschliessend fermentierten Maische ist jetzt auf 7,5 Vol.-% gesetzt. Auch dies wird die Aromenvielfalt wahrscheinlich verändern. Zusammen mit der Acidität (Terroir) entstehen neue Aromen (z.B. Ester). Im Bereich der Destillation gilt, dass die Destillation nun nur noch vom 2. Januar bis zum 5. September stattfinden darf.
Die Beschreibungen der erlaubten Destillationsapparatur wurden weitgehend beibehalten. Im Bereich der Lagerung wurde die Mindestruhezeit für blanc Rhum Agricole auf sechs Wochen reduziert, verglichen mit drei Monaten zuvor.
Vieux Rhums mit einem bestimmten Jahrgang müssen mindestens 6 Jahre alt sein. Die zulässigen altersinduzierenden Deskriptoren (z.B. XO, Cuvée Spéciale etc.) wurden ebenfalls stark erweitert, so dass wir demnächst auch Beschreibungen finden werden, die über die derzeitigen VS-, VSOP- oder XO-Beschreibungen hinausgehen werden. Der Mindestalkoholgehalt eines Rhum Agricole AOC Martinique muss mindestens 40 Vol.-% betragen.
Eine einschneidende Neuerung ist im Bereich der Veredelungsverfahren eingetreten. Die Verwendung von Karamell und Eichenchips ist nun ausdrücklich erlaubt, sofern sie maximal zu einer «Verdunkelung» bei Anwendung auf nicht weniger als 2 Vol.-% der Gesamtmenge führt. Diese Vorschrift ist insofern bedeutend, als dass man bisher auf solche Veredelungen verzichtet hat.
Bis 2014 konnte man Rhum Agricole AOC Martinique getrost als ungefärbt bezeichnen, dem ist heute nicht mehr so. Idealerweise wird «nur» ein Zusatz zur Färbung hinzugefügt, aber es ist nichts erkennbar, was verhindert, dass auch ein süsser Karamell verwendet werden kann – mit allen Konsequenzen, die dies für den Geschmack impliziert. Es wird also abhängig von der immer stärker geforderten Transparenz der Herstellung der Destillate sein, was wir erfahren werden. Wir werden es schmecken…
Der Sinn von Schutzmassnahmen wie AOC oder GI ist, dass landwirtschaftliche Erzeugnisse ihren geografischen, atmosphärischen und methodischen Praktiken treu bleiben. Dieser Grundgedanke steht auch hinter anderen Rhum-produzierenden Ländern dieser Welt, z.B. Mexiko, Thailand, La Réunion oder Mauritius.
Gerade letztere Region ist derzeit im Begriff einiges zu tun, um die Eigenheiten ihrer R(h)umherstellung in einer Regelung festzulegen. So soll etwa ein Rhum aus Mauritius nur noch aus Zuckerrohr hergestellt werden, welches auf der Insel heimisch ist. Ein erster Ansatz, dem sicher weitere folgen müssen und der zum Schutz der auf der Insel heimischen Hersteller durchgezogen werden sollte.
Rhum Agricole und seine Möglichkeiten
Die Zahl der Rhum Agricole-Liebhaber wächst (zu Recht) von Jahr zu Jahr. Es bleibt spannend zu sehen, wie sich die neuen AOC-Regeln in Martinique auswirken und welche Schritte andere Rhum-produzierende Länder zum Schutz ihrer eigenständigen Spirituosen unternehmen. Wer die derzeit geführte Debatte verfolgt, erkennt, dass es heute diverse Länder gibt, die die Eigenständigkeit ihrer Destillate deutlich betonen.
Cachaça ist dafür ein gutes Beispiel. Es gibt in Brasilien über 600 verschiedene Arten des Zuckerrohrs, doch erst langsam nutzt man in Brasilien diese Vielfalt zum Ausdruck des Stolzes. Dazu kommen die Einflüsse des Terroirs der einzelnen Regionen sowie die Herstellung z.B. mit kurzfermentierenden Hefesorten oder niedrig-alkoholgrädigen Destillationen in kontinuierlichen Anlagen.
Nicht zu vergessen die Fass-Reifung in unterschiedlichen Grössen und Holzarten (auch Tropenholz!). Die Vielfalt nimmt zu und damit auch der Bedarf einer internationalen Regulierung zur deutlicheren Unterscheidung anderer auf Zuckerrohrsaft basierender Destillate.
Auch in den USA, einem der wichtigsten Rum-Märkte der Welt, sind Entwicklungen erkennbar, die nach einer Verbesserung der nationalen und internationalen Regelungen rufen. So verwenden bereits einige Marken den Begriff Agricole auf ihren Flaschen, teils nur um eine handwerkliche Herstellung hervorzuheben, teils um die Verwendung von Zuckerrohrsaft anzudeuten.
Das Wort Agricole steht aber für einen bestimmten, in französischen Überseegebieten regulierten Produktionsstil. Und den gilt es zu schützen! Einige dieser amerikanischen Produzenten sind mit ihrem Agricole näher am Clairin aus Haïti oder beim Cachaça.
Höchste Zeit, dass TTB und BATF klare Vorschriften und Namensregularien einführen, um die Kategorie Rhum Agricole in ihrer traditionellen Form zu bewahren. Obwohl die Kategorie Agricole vor Jahrzehnten von der grösseren Rum-Kategorie beiseitegeschoben wurde, ist sie heute doch eine boomende Kategorie, und der Name kann einen wunderbaren, deutlich erkennbaren Reiz tragen; zum Teil auch dank seines Nischenstatus.
Es ist Zeit sich mit dieser Kategorie, und deren Variationen, intensiver zu beschäftigen.