Wahrscheinlich ist das Waadtland die schönste Weinregion, die die Schweiz hat. Das Zusammenspiel zwischen Genfersee, Alpen, steilen Reblagen und vor allem einer für die Schweiz unüblichen Weite, die je nach Wetterlage bis ins Grenzenlose schweift, ist einmalig und unvergesslich.
Nicht ohne Grund zieht die «Waadtländer Riviera» am Genfersee zwischen Montreux und Lausanne seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Besucher aus aller Welt und natürlich auch aus dem Rest der Schweiz an. Sie fanden und finden hier Inspiration, Ruhe, Schönheit und natürlich guten Wein.
Ernest Hemingway kam beispielsweise zum ersten Mal im Januar 1922 in die Schweiz und wohnte in der «Pension de la Forêt» in Chamby. Hier schrieb er mehrere Kapitel seines Romans «In einem anderen Land», inspiriert von seinen Schlittenfahrten in Les Avants und den Spaziergängen im Schnee in Les Bains de l’Alliaz.
Graham Green, Schöpfer des Nachkriegs-Romans «Der dritte Mann», verbrachte sein letztes Lebensjahr in Vevey. Im Palace Hotel in Montreux lebte Vladimir Nabokov bis zu seinem Tod und veröffentlichte hier unter anderem seine Übersetzung von «Eugen Onegin». Auch der Monster-Roman «Frankenstein» hat hier seine Wurzeln.
Die Autorin Mary Shelley lernte 1816 in Cologny Lord Byron kennen. Zusammen verfassten sie Gruselgeschichten, aus denen schliesslich «Frankenstein oder der moderne Prometheus» entstand. Er erzählt die Geschichte des jungen Schweizer Viktor Frankenstein, der künstliche Menschen erschuf. Kurz: Das Waadtland ist ein hochkreatives Terroir – auch für den Wein.
Weinkultur geprägt vom See
Das Waadtländer Weingebiet ist in sechs Regionen unterteilt, die acht AOCs (Appellation d’Origine Contrôlée) enthalten. Die bekannteste Region, das Lavaux, bietet eines der schönsten Panoramen der Welt. Das 30 Kilometer lange Rebbaugebiet entlang des Genfersees ist ein grossartiges Geschenk der Natur, aber auch die Frucht harter, menschlicher Arbeit.
Seit Generationen wird hier der Hang von den Weinbauern terrassiert und mit Steinmauern gestützt. Seinen Anfang nahm die Weinproduktion in dieser Gegend bereits im 11. Jahrhundert unter den Zisterziensern und Benediktinern.
Das heute in das Unesco-Welterbe aufgenommene Gebiet umfasst 14 Gemeinden und sechs Weinbaugebiete mit kontrolliertem Anbau. Man sieht das Gebiet gleich links, wenn man mit dem Zug von Fribourg Richtung Lausanne unterwegs ist und aus dem Tunnel kommt.
Hier kultivieren zahlreiche Topwinzer die wohl besten Chasselas-Weine der Schweiz. So etwa Blaise Duboux, Pierre-Luc Leyvraz oder Pierre & Basile Monachon. Natürlich auch die Familie von Luc Massy und Louis-Philippe Bovard, der gerne als Grandseigneur des Chasselas bezeichnet wird. Er produziert im Lavaux in zehnter Generation Wein und vinifiziert unter anderem den bekannten Dézaley «La Médinette», der neben dem «Aigle les Murailles» (Eidechsli-Wy) zu den bekanntesten Schweizer Weinen zählt.
Bovard ist auch Gründer des «Conservatoire Mondial du Chasselas», eine Bibliothek von verschiedenen Chasselas-Rebstöcken. Inzwischen können die Weine von 19 verschiedenen Chasselas-Klonen verkostet werden.
Reist man vom Lavaux Richtung Genf, fährt man bald einmal durch das Gebiet der La Côte und jedes Mal, wenn ich die La Côte besuche, habe ich das Gefühl, der französischen Weinkultur etwas näher zu sein.
Dies nicht nur, weil sich dieses Gebiet tatsächlich geografisch Frankreich nähert, sondern vielmehr, weil es in der La Côte diese Fülle an Schlössern, Domänen und Festungen hat, denen man in der Regel in französischen Weinbaugebieten begegnet. Eine solche Fülle an «Weindomainen» gibt es sonst in der Schweiz nicht mehr.
Von den insgesamt im Kanton Waadt existierenden 42 Weinbauschlössern befinden sich sage und schreibe 32 in La Côte, was dem Terroir auch den Beinamen «aristokratische Appellation» eingebracht hat.
Die Weine aus der La Côte zählen zusammen mit den Weinen aus dem Lavaux zu den bekanntesten Chasselas-Weinen der Schweiz: Weine wie Château de Vinzel, Château de Luins, Château d’Allaman, Château de Vufflens oder Château de Châtagneréaz.
In der La Côte basiert jedes Dorf auf ein nahegelegenes Château. Und wenn im Lavaux der Bischof regierte, so war es in der La Côte die Aristokratie. Es waren wohl ursprünglich die Mönche, die die Rebberge verwalteten, aber die Aristokratie hat sehr viel dazu beigetragen, dass sich der Weinbau in der La Côte derart ausgebreitet hat.
Die Region Waadt war zudem bekannt, viele protestantische Flüchtlinge aufgenommen zu haben, die aus ihrem Land flohen, vor allem französische Hugenotten. Diese brachten ihre Kenntnisse in Industrie und Finanzwesen mit, was die wirtschaftliche Entwicklung des Waadtlandes förderte.
Napoleon Bonaparte, der die Schweiz auf seinem Eroberungszug durch Europa durchquerte, befreite die Waadt 1798 von der Herrschaft ihres mächtigen Nachbarn, dem Kanton Bern. Napoleon gab dem Kanton Waadt 1803 auch seine erste Verfassung.
Das Wappen des französischsprachigen Kantons Waadt/Vaud ist waagrecht zweigeteilt. Das obere Feld ist weiss oder silbern, das untere grün. Grün symbolisiert Freiheit und geht auf die am 23. Januar 1798 proklamierte Lemanische Republik zurück.
Im oberen weissen Feld steht in Goldlettern das französische Motto «Liberté et patrie» (Freiheit und Vaterland), zwei Begriffe, die wie der Chasselas zum Fundament des Schweizer Charakters gehören.
Chasselas: Önologische Königin des Waadtlands
Önologische Königin des Waadtlands ist die Chasselas-Traube. 61 Prozent der Rebfläche ist mit ihr bestockt. Seit 2009 ist nachgewiesen, dass der Ursprung der Chasselas-Trauben das Gebiet des Genfersees – besonders das Waadtland – ist und nicht wie ursprünglich angenommen Ägypten oder das Burgund.
Charakteristisch für den Waadtländer Chasselas ist sein Terroir-Bezug. Die meisten Weine werden nicht als Chasselas beschriftet, sondern tragen (wie im Burgund) den Namen des Dorfes, der Heimatgemeinde oder des Weinbergs von dem sie stammen. Zum Beispiel St. Saphorin, Yvorne, Aigle, Féchy, Dézaley oder Epesses.
Die besten Weine gedeihen in den atemberaubenden und terrassierten Weinbergen des Lavaux entlang des Genfer Sees. Hier profitiert die Rebe − wie man es hier nennt – von den «drei Sonnen»: von der Sonne selber, von der Spiegelung ihrer Strahlen durch den See sowie von der von den Mauern der terrassierten Weinberge tagsüber absorbierten Wärme, die nachts an die Pflanzen abgegeben wird.
Chasselas ist ein herrlicher Wein für den Gaumen und für die kulinarische Kombination. Denn Chasselas passt sich gerne an, ohne langweilig zu werden. Man kann ihn sowohl zum Apéro geniessen, wie aber auch zu Fischgerichten und den traditionellen Schweizer Käsegerichten vom Raclette bis zum Fondue.
Chasselas besitzt aber auch eine Eigenschaft, die kaum ein anderer Wein in sich hat. Man kann ihn wie einen Champagner zum Beispiel – nach einem üppigen Mahl – sozusagen als «Digestif» geniessen.